von Oliver Siebert

von Oliver Siebert

Stephanskirchen untertunnelt: die Zerstörung unserer Gemeinde

Beitrag von Dr. Ben Warkentin im Gemeindekurier

Als am 1. Juli von Verkehrsminister Scheuer die neuen reduzierten Trassenvarianten für den Brenner-Nordzulauf vorgestellt wurden, hat mancher von uns vielleicht Hoffnung aus der Perspektive geschöpft, dass unsere Gemeinde wenigstens im Tunnel unterfahren werden soll. Wenn in 7 Jahren die Baumaschinen anrücken, würden wir von dem großen, oberirdischen Bauprojekt verschont bleiben. Tatsächlich äußerten sich sowohl die Vertreter der Bahn als auch Herr Scheuer und die CSU-Bundestagsabgeordnete Frau Ludwig hoffnungsfroh, dass mit der östlichen Variante im Tunnel alle Probleme für den Landkreis „begraben“ werden könnten.

Leider ist dem nicht so. Bei einem etwa 6 km langen Tunnel mit zwei Röhren mit je 10 Metern Durchmesser im Bau würde der Abraum alleine 942.000 m³ betragen (Tunnelfläche 78,5 m² x 6000 m x 2 Röhren). Das entspricht einer Schüttung mit einem Böschungswinkel von 45 Grad (typisch bei Kies) von 50 m Höhe, 50 m Breite und 750 m Länge. Das Sparkassenhochhaus ist 42 m hoch. Ist eine offene Tunnelbauweise möglich (bei bis zu 12 m Überlagerung ist es vorteilhafter alles auszugraben und den Tunnel nach Fertigstellung wieder zu verfüllen) käme dann noch einmal ein Mehrfaches an Aushub für das Teilstück dazu, der für die Bauzeit zwischengelagert werden muss.

Die entsprechenden Baustellen, die wir auf der Schwäbischen Alb besichtigt haben, erstrecken sich mit einer Breite von ca. 300 Metern entlang der Trasse und wiesen Schüttungen von bis zu 70 m Höhe auf. Aber auch wenn mit einer Tunnelbohrmaschine gearbeitet wird, muss eine Baustelleneinrichtung mit Betonwerk und Logistik vorgehalten werden. Das sind Dimensionen für unsere Gemeinde, die unsere Vorstellungskraft sprengen. Die Bereiche mit geringerer Überlagerung etwa bei Kieling oder am Tunnelende bei Ried zwischen Stephanskirchen und Riedering würden sich dann für 10-15 Jahre in eine Mondlandschaft verwandeln. Die Bürger von Stans bei Innsbruck, die das bereits hinter sich haben, berichteten uns auch von unerträglichem Zementstaub und Lärm bis spät in die Nacht, da die Sub-Sub-Unternehmer trotz Intervention der Polizei keine Rücksicht auf Anlieger oder nächtliche Ruhezeiten nahmen. Schließlich wurde auch noch die Dorfgemeinschaft gesprengt, als sie allen Haushalten eine hohe Summe anboten, um die Zustimmung zu einer Bauzeit rund um die Uhr zu erhalten. Die weiter entfernt liegenden Bewohner hätten gerne angenommen, während die unmittelbaren Anlieger verzweifelten.

Aber damit nicht genug: Vom Tunnelbau bei Oberau vor Garmisch-Partenkirchen wissen wir, dass der Abraum von dort zunächst in Österreich aufbereitet und dann mit LKWs nach Holland zum Dammbau transportiert wird. Der ökologische Fußabdruck besonders durch den Zementbedarf (das CO2 wird bei der Herstellung aus dem Stein ausgebrannt) ist derart, dass solche Tunnelbauten bis zu 80 Jahre klimafreundliche Volllast-Nutzung (beim Brennerbasistunnel) benötigen um die Ökobilanz wieder auszugleichen. Bei der aktuellen Bedarfsperspektive wären das also mehrere hundert Jahre – vermutlich zu spät fürs Klima. Auch die Folgelasten wie Brandschutz und die zahllosen Anpassungen der Infrastruktur hat die Gemeinde zu tragen.

Noch kritischer wird es beim Wasserhaushalt. Nachdem für einen Tunnelbau das Grundwasser abgesenkt werden muss, der avisierte Tunnel zudem mit Sicherheit mehrere unserer Wasserschichten bzw. -stockwerke anschneidet und zum Inn hin drainieren würde, sind die Folgen für die Landwirtschaft, für unsere Wasserversorgung, die Seen, die Leonhardsquelle und nicht zuletzt für die Bausubstanz im Einzugsgebiet noch gar nicht absehbar.

Wer in YouTube nach Alternativen zu Stuttgart 21 sucht, wird schnell einen Bericht des Südwestfunks finden, der deutlich macht, dass bei diesem Projekt verkehrspolitisch, ökologisch und wirtschaftlich viel sinnvollere Alternativen bestanden. Aufgrund welcher Interessen auch immer, sie wurden hartnäckig ausgeblendet. So wurden Tatsachen geschaffen, die eine Umkehr unmöglich machten, als später das ganze Desaster erkennbar wurde. Ganz ähnlich scheint es mit „unserem“ Projekt zu sein, die Modernisierung des Bestandes wird kategorisch abgelehnt.

Dennoch haben die Bürgerinitiativen und die Gemeinden Stephanskirchen, Riedering, Rohrdorf und Neubeuern verschiedene Studien in Auftrag gegeben, die immer deutlicher die Unsinnigkeit des Projekts – sogar bei der völlig unwahrscheinlichen Annahme eines zukünftigen hohen Bedarfs – erkennen lassen.

Die Ergebnisse lassen sich so zusammenfassen: Die Bestandsstrecke ist leistungsfähiger, als bislang angenommen. Mit geringen und kostengünstigen Optimierungen ließe sich bereits im Zeitraum von zwei Jahren die Kapazität um 15% steigern. Eine Digitalisierung und vor allem die Entflechtung einiger Blockaden im Bahnknoten Rosenheim könnten darüber hinaus weitere hohe Kapazitätsreserven schaffen. So würde auch einer spürbaren Optimierung des Regionalverkehrs bei guter Betriebsqualität nichts im Wege stehen.

Der Neubau von zwei Hochleistungsspuren macht hingegen aus folgenden Gründen keinen Sinn: Die meisten Personenfernzüge werden in Rosenheim (und Kufstein) halten, da sonst die notwendige Fahrgastzahl und damit die Wirtschaftlichkeit für die Brennerachse nicht erreicht wird. Diese Züge können die Schnelltrasse allenfalls auf wenigen Kilometern nutzen. Damit bleiben vor allem die langsamen Güterzüge, die Rosenheim im Tunnel umfahren könnten. Für sie ist eine Hochleistungstrasse aber völlig falsch dimensioniert und viel zu teuer. Richtig wäre also die Optimierung der Bestandsstrecke, sodass eine Zeitersparnis für die Personenfernzüge ermöglicht wird. Falls später einmal die Kapazitätsgrenze wirklich erreicht würde, könnten angemessene, d.h. auch langsamere Ortsumgehungen für den Güterverkehr bereits jetzt vorhergesehen werden. Insgesamt könnte das Hauptziel der Reisezeitverkürzung und Leistungssteigerung also zu einem Bruchteil an Kosten und Schäden der jetzt angedachten zusätzlichen Neubautrasse erreicht werden.

Die Forderung der Bürgerinitiativen lautet daher weiterhin, den Bestand zu modernisieren und die Planung hierzu nicht bereits jetzt zu verwerfen. Sie können diese Forderung aktiv mit Ihrer Unterstützung der Petition beim Deutschen Bundestag aufbrennerpetition.de zu unterstützen.