„Vielen Bürgerinnen und Bürgern ist das Ausmaß noch gar nicht bewusst, weil sie sich mit dem Thema nicht auseinandersetzen“: dramatische Erkenntnisse für die Teilnehmer der Radl-Tour entlang der Trasse des Brenner-Nordzulaufs
Im April konnten sich die Stephanskirchner in einer „Sprechstunde mit Planausstellung“, organisiert durch das Planungsteam der Deutschen Bahn AG, über die Planung der Bahntrasse des Brenner-Nordzulaufs durch die Gemeinde Stephanskirchen informieren. Durch rhetorisch hervorragend geschulte Mitarbeiter wurden die wesentlichen Fragen zum Flächenverbrauch, insbesondere während der Bauphase, zu Aufstellflächen, Abtransport und Zwischenlagerungen von Aushub, Grundstücksverkauf und drohender Enteignung nur oberflächlich und unzureichend beantwortet.
Wenn es nach MdB Daniela Ludwig (CSU) geht, dann hat es Stephanskirchen gar nicht so schlimm erwischt, weil ein Großteil der geplanten Trasse durch die Gemeinde in einem 8,5 Kilometer langen Tunnel von Innleiten bis nach Riedering verlaufen soll. Dass dem aber nicht so ist und um deutlich zu machen, was für Auswirkungen während der Bauphase und lange danach auf die Gemeinde zukommen, luden die Parteifreien Bürger daher zu einer Fahrradtour entlang der Trasse ein. An einigen Stationen schilderten Betroffen, was das Projekt für sie bedeutet und welche Auswirkungen auf sie zukommen, wenn die Bauarbeiten beginnen. Die technischen Erklärungen während der Radltour auf der Trasse des Brenner-Nordzulaufs übernahm Dr. Ben Warkentin, seit vielen Jahren beim Brennerdialog engagiert.
„Aufgeben“ hängt in der Luft
Gut 35 Bürgerinnen und Bürger machten sich auf dem Radl auf den Weg um sich vor Ort davon zu überzeugen, wie sich Flächenfraß für Baustelleneinrichtung, zusätzliche Gleise für den Abtransport des Abraums, der Tunnelbau mit den beiden Portalen, Lärm, Staub, Baustellen- und Umwegeverkehr auf die Gemeinde auswirken wird. Die dort ansässigen Landwirte, darunter die Familien Lindner und Huber, können nach eigener Aussage kaum einschätzen, wie sehr es sie trifft und ob sich größere Investitionen überhaupt lohnen. Es trift mehrere Generationen und das Damoklesschwert „Aufgeben“ hängt in der Luft.
Familie Gürtler, deren Haus direkt im Bereich der neuen Gleisanlage steht, hatten Boxen aufgebaut, aus denen Baulärm in entsprechender Lautstärke tönte. „Diesen Baulärm kann man abstellen, den des Trassenbaus aber nicht und der wird über Jahre hinweg da sein“ so Lisi Gürtler. Wobei sie sagt, dass sie vielleicht noch gut dran sind, da sie als Betroffene entschädigt werden und sich davon vielleicht wo anders eine neue Existenz aufbauen können. Diejenigen, die jedoch nicht direkt betroffen sind, müssen den Lärm und Staub auch ohne Entschädigung aushalten.
Ried bis Baierbach: rund 36 Fußballfelder Fläche verplant
Zwischen Ried und Baierbach hat die Bahn 26 Hektar Fläche – das entspricht gut 36 Fußballfeldern – verplant. 14 Hektar allein für einen Verladebahnhof parallel zur Bahnstrecke München-Salzburg, der zwischen Baierbach und Weinberg an die bestehende Strecke anschließt. Und damit genau den Teil der Gemeinde betrifft, in dem die höchste Dichte an Ferienwohnungen ist. Dazu kommen nach derzeitiger Planung der Bahn 12 Hektar für Zwischenlager von Erdreich, Container, Parkplätze, Werkstätten, Betonmisch- und Aufbereitungsanlagen, Baustraßen und den Betrieb eines Förderbandes.
Aber auch in Innleiten, wo der nördliche Teil des Tunnels endet und die Trasse Richtung Schechen über den Inn verläuft, ist der Flächenfraß mit Aufstell- und Bauflächen unvorstellbar. Da die Kreuzung am Schlossberg den Baustellenverkehr nicht bewältigen kann, muss für die Baustellenzufahrt eine eigene, zweispurige Straße in den Innhang von Haiden durch ein Naturschutzgebiet gebaut werden.
Wie viele Menschen das Handtuch werfen, weil sie Lärm, Baustellenverkehr und Staubbelastung nicht aushalten, sich anderswo ein neues Zuhause oder einen neuen Standort für die Firma suchen, das kann heute keiner absehen. Acht bis zehn Jahre Bauzeit hat die Bahn für den BNZ angesetzt. „Nicht glaubhaft“, sagt Warkentin. Da sprächen allein schon die Erfahrungen mit anderen Großprojekten der Bahn – zuvorderst „Stuttgart21“ – dagegen.
Erschrocken und schockiert
Die Teilnehmer der Radltour waren am Ende sichtlich erschrocken und schockiert. „Solche Ausmaße hätte ich mir nicht vorgestellt“, so eine Teilnehmerin. Ein anderer Teilnehmer brachte es auf den Punkt: „Vielen Bürgerinnen und Bürgern ist das Ausmaß noch gar nicht bewusst, weil sie sich mit dem Thema nicht auseinandersetzen. Und es betrifft nicht nur diejenigen, die direkt an der Trasse betroffen sind, sondern alle in der Gemeinde und im südlichen Landkreis“. Somit konnte die Radltour leider nur einem kleinen Kreis von Interessierten die Augen öffnen, jedoch in der Hoffnung, dass die Stephanskirchner endlich aufwachen und sich gegen diesen (Bahn-)Wahnsinn zu wehren.
Stephan Mayer
Fraktionssprecher Parteifreie Bürger Stephanskirchen e.V.